Das Schneeglöckchen-Phänomen

Auf die Art Cologne freue ich mich jedes Jahr bestialisch. Der Grund liegt auf der Hand – aber anders, als Sie vielleicht vermuten: Bei einer Kunstmesse dieses Kalibers hängt ganz einfach mehr großartiges Zeug an der Wand, als man in dieser Dichte kaum jemals in einem Museum geboten bekommt. Kandinsky? Klar, die Galerie Schneider, Schneyder & Schneider müsste noch ein paar haben, da entlang bitte, an den Mirós vorbei.

 

Was mich daran allerdings eigentlich fasziniert, ist nicht die schiere Masse wunderschöner Dinge. Sondern der Gedanke, dass all‘ das herrliche Zeug tatsächlich niemals in einem Museum zu sehen sein wird: Deren Kuratoren können sich hier nämlich gerade mal ein Lachsbrötchen leisten. Das Allermeiste, was hier prangt und wirkliche Kunstliebhaber in Tränen aufgelöst auf die Knie sinken lässt, dürfte am Ende bei sogenannten Sammlern landen, die im günstigsten Falle halt irgendwas Frisches für ihr neues Penthouse in London suchen. Und bitte passend zum Sofa, das haben wir gerade mintgrün beziehen lassen. Gut, warum nicht, kann man so machen – darüber schreibe ich irgendwann auch mal was.

 

OK: Im ungünstigeren Falle entpuppen sich die Leute mit dem Scheckbuch vielleicht doch nicht als Kunstsammler, sondern eher als Kunst-Horter, die schlicht darauf hoffen, sich in ein paar Jahren endlich den Fünft-Porsche vor das Chateau in der Bourgogne stellen zu können – Wertsteigerung des neuen Picassos sei dank. Ist ja nicht verboten. Nur peinlich halt.

 

Jedenfalls: In beiden Fällen dürfte das meiste, was in Köln während der Art Cologne einen roten Punkt an die Seite geklebt bekommt, mit dem Schlussgong zumindest für einige Zeit dem eigenen Blickfeld entzogen sein. Wenn nicht sogar für immer. Es sei denn natürlich, man ist, sagen wir, Bill Gates und wird ab und zu bei entsprechend betuchten Freunden zum Tee eingeladen, wo man sich dann die Story vom Messebesuch in fancy old Germany anhören darf. 

 

Mit anderen Worten: Die vielen, vielen schönen Arbeiten, an denen man auf der Art Cologne vorbei flaniert, sind wie die Blüte einer scheuen Pflanze: für ein paar Tage zu bestaunen, dann erstmal wieder weg. Wie Schneeglöckchen, die im Frühling kurz aufblitzen und dann fott sind, wie der Kölner sagt. Oder wie bei dieser Titanwurz, einer Pflanze, die nur alle zehn Jahre einmal blüht. Was in diesem Falle allerdings ein Glücksfall ist, weil das Gewächs bestialisch stinkt. 

 

OK, im Blick auf Kunst mag dieser Vergleich etwas hinken. Oder vielleicht auch nicht – ich jedenfalls kenne keinen Kollegen, der glücklich darüber wäre, wenn eine seiner Arbeiten, kaum dass die Farbe nicht mehr klebt, für Jahre im Singapurer Freihafen vergammelt. Bis irgendjemand mit weißen Handschuhen sie dann bei Christie‘s neben das Pult mit dem Hammermann stellt. Wobei der Künstler ja nicht mal was von der Wertsteigerung hat. Trotzdem.

 

Darum lässt mich dieser Titanwurz-, äh, Schneeglöckchen-Effekt immer wieder mit einem seltsamen Gefühl zurück. Zum einen, weil ich mich nach der Art Cologne immer frage, wie viele Meisterwerke der Kunst man womöglich nie zu sehen bekommt, selbst wenn man freien Eintritt in alle Museen der Welt hätte – und die „Miles and More“ Karte in Platin. Weil die vielleicht schönsten Arbeiten still darauf warten, irgendwann mal in besagten Sportwagen verwandelt zu werden? Herrgott! Was habe ich wohl 2017 verpasst, als ich wegen Grippe nicht zur Messe konnte? Wann ist die Art Basel noch mal?

 

Andererseits … Nun, sagen wir mal so: Das Schlendern durch die Messegänge, vorbei an van Gogh & Co. kann einen letztlich auch menschlich arg weiterbringen. Es ist erhebend, auftankend, grandios und gleichzeitig morbide, weil man spürt: Ich darf bei etwas dabei sein, was danach weg ist und nie wieder kommt – und dadurch bei aller Schönheit schon den Keim des Todes in sich trägt. 

 

 

Man möchte den Anblick festhalten. Und kann es doch nicht. Eine gute Schule für das Leben ist das, eine buddhistische Übung. So wie ein 5:0-Sieg FC Sankt Pauli gegen Bayern München. Wobei München danach leider nicht in irgendeinem Keller verschwindet. Ich muss reich werden.